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Braucht der Handball eine Wurfuhr?

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  • Beitrag veröffentlicht:10. September 2020
  • Lesedauer:9 min Lesezeit

Das Thema „Wurfuhr“ wird im Handball seit Jahren immer wieder diskutiert. Vor einigen Wochen rückte Filip Jicha, Trainer des THW Kiel, das Thema in den Fokus. Er beschwerte sich, dass in der Bundesliga die gegnerischen Mannschaften das Spiel gegen sein Team total verschleppen würden. Denn die bestehende Regel zum „passiven Spiel“ ist eben keine objektiv festgeschriebene Zeit, sondern bleibt dem subjektiven Empfinden der Schiedsrichter überlassen. Das kann natürlich ausgenutzt werden. Jicha forderte deshalb eine Shot Clock, wie es sie im Basketball bereits seit den fünfziger Jahren gibt. Aber macht das wirklich Sinn? Und wie könnte die Shot Clock im Handball aussehen?

Wann wird geworfen?

In den vergangenen drei Spielzeiten der HBL dauerte es durchschnittlich etwas weniger als 35 Sekunden bis zum ersten Abschluss eines Angriffs. Also bis zum ersten Wurf oder einem Ballverlust, zweite Wurfchancen sind dabei nicht berücksichtigt. Es ist jedoch nicht so, dass die meisten Abschlüsse eines Angriffs auch bei mehr oder weniger 35 Sekunden stattfinden.

Die Kurve der Abschlüsse nach Anzahl und Zeit hat nicht klassisch ein Maximum, wie bei der Normalverteilung. Stattdessen gibt es zwei Maxima: 11,1 % aller ersten Abschlüsse der vergangenen Spielzeit waren zwischen fünf und neun Sekunden, 11,3 % zwischen 35 und 39 Sekunden. Es werden also entweder schnelle Würfe (Tempogegenstöße, schnelle Mitte etc.) genommen oder es wird versucht behutsam den bestmöglichen Wurf herauszuspielen.

Betrachtet man einzelne Teams, dann gibt es natürlich deutliche Unterschiede. Die meisten Angriffe pro Spiel (Pace) hatte in der vergangenen Saison der SC Magdeburg. Bei der Dauer bis zum ersten Abschluss im Angriff jedoch war der Bergische HC (33,0 Sekunden) noch knapp vor Magdeburg (33,3 Sekunden). Doch die Pace war beim SCM deutlich höher, da die Gegner des BHC lange bis zum ersten Abschluss brauchten und sie selbst bei den zweiten Wurfchancen langsamer als das Team von Bennet Wiegert abschlossen.

Die Taktik der langen Angriffe

Noch länger als beim Bergischen HC dauerte es, bis die Gegner der Top-Teams THW Kiel (36,3 Sekunden) und SG Flensburg-Handewitt (36,7 Sekunden) das erste Mal abschlossen. Während Flensburg selbst in der Offensive auch kaum schneller spielte (36,4 Sekunden), ist es bei Kiel offensichtlich, dass – wie von Filip Jicha in seiner Forderung nach einer Wurfuhr erwähnt -, die Gegner in der HBL das Tempo verlangsamen.

Kiel selbst hatte nämlich eine überdurchschnittlich kurze Zeit bis zum eigenen Wurf (33,4 Sekunden). Die Differenz von 2,8 Sekunden war der größte der Liga. 31,1 % der ersten Abschlüsse der Zebras waren bereits nach weniger als 15 Sekunden. Das waren 6,4 Prozentpunkte über dem Ligaschnitt.

Das Ziel hinter der Taktik gegen den Meister ist klar: Sie sollen zu so wenig Angriffen wie möglich gezwungen werden. Denn schon allein aus rein mathematischer Sicht steigt damit die Chance auf Überraschungserfolge.

Genau dies ist auch der Plan der Eulen Ludwigshafen, mit dem sie in den vergangenen drei Jahren den Klassenerhalt erreicht haben. Sie brauchten in der vergangenen Saison selbst mit Abstand am längsten bis zum ersten eigenen ersten Abschluss (40,1 Sekunden). Im Vergleich zum THW Kiel waren nur rund halb so viele erste Abschlüsse unter 15 Sekunden (16,5 %).

Die ersten Abschlüsse der Gegner der Eulen waren hingegen beinahe exakt so verteilt wie beim Durchschnitt der Liga. Die Differenz zwischen der eigenen und der gegnerischen Dauer bis zum ersten Abschluss war mit -5,6 Sekunden beim Team von Ben Matschke mit Abstand am höchsten.

Auswirkungen auf die Abschlüsse

Die höchste Wurfquote hatten in den vergangenen drei Spielzeiten natürlich auch die ersten Abschlüsse nach unter fünf Sekunden (74,0 %). Allerdings war dort auch die Ballverlustquote sehr hoch (17,7 %). Trotzdem wurden dort die meisten Tore pro 50 Ballbesitze erzielt (30,5). Während der Anteil ersten Abschlüsse dann zwischen fünf und neun Sekunden erst mal stark anstieg, sank die Effizienz, da die Wurfquote deutlich sank und auch die Ballverlustquote auf den höchsten Wert stieg (18,8 %).

Es folgen direkt der dritt- und der zweiteffizienteste Abschnitt mit 28,0 und 29,2 Toren pro 50 Ballbesitzen. Grund dafür waren die steigenden Wurfquoten und die sinkenden Ballverlustraten. Wenig später, zwischen 25 und 29 Sekunden bzw. 30 und 34 Sekunden, folgen dann die ineffizientesten Zeitabschnitte. Lediglich 22,2 bzw. 23,3 Tore pro 50 Ballbesitze wurden hier erzielt. Hier trafen die niedrigsten Wurfquoten auf sehr hohe Ballverlustraten. Passenderweise wurden her aber auch weniger Würfe genommen.

Anschließend pendelten sich die Tore pro 50 Ballbesitze bei einem Wert knapp über 25 ein. Je länger der Angriff dauerte stiegen sie etwas an. Während die Wurfquote sehr konstant bei etwa 60 % war, sank die Ballverlustrate mit der weiteren Dauer des Angriffs.

Die Wurfquoten hängen natürlich mit der Art der Abschlüsse zusammen. Bei den Würfen unter neun Sekunden war der Großteil Tempogegenstöße, die effizienteste Wurfart. Bei allen anderen Würfen dominierten die Abschlüsse aus der Mitte des Rückraums. Der Anteil dieser stieg immer weiter mit der Zeit. Schließlich ist dies die Wurfart, die am einfachsten genommen werden kann. Gleichzeitig ist es aber auch eine der ineffizientesten Wurfarten.

Was würde eine Wurfuhr bringen?

Der größte Nachteil an der aktuellen Regelung um das passive Spiel ist, dass sie subjektiv ist. Denn auch wenn Schiedsrichter alles dafür tun, um möglichst objektiv zu sein, ist dies letztendlich einfach nicht möglich. Außerdem sind auch nicht alle Schiedsrichter gleich. Manche heben prinzipiell ihren Arm schneller als andere.

Dies kann, genau wie die Tempoverlangsamung, mit einer Wurfuhr absolut fair und objektiv geregelt werden. Dazu würde die teilweise einfach nur unnötig langsame Anfangsphase in einem Angriff, wo langsam der Ball hin und her gespielt und gewechselt wird, deutlich schneller ablaufen. Das wiederum würde der Attraktivität des Spiels guttun.

The Minor Tweak that Saved the Then Dying Sport of Basketball

Bei einer Wurfuhr von 45 Sekunden wären 2019/20 in der HBL rund ein Viertel aller ersten Abschlüsse zu langsam gewesen. Zwei Fünftel davon sind innerhalb der folgenden zehn Sekunden abgeschlossen worden. Mit etwas weniger vergeudeter Angriffszeit durch langsame Wechsel und Ball hin und her spielen ohne Zug zum Korb, könnten diese Angriffe locker in die 45 Sekunden gepackt werden. Damit wäre dann nur noch etwa ein Siebtel der Angriffe zu langsam. Und diese dauern nun auch einfach mal viel zu lange, mindern sowohl die Attraktivität des Spiels als auch die Fairness gegenüber den anderen Mannschaften.

Wie im Basketball könnte man auch nach Fouls und bei zweiten Wurfchancen wieder zusätzliche Zeit auf die Uhr packen. Je nachdem wie schnell das Spiel wirklich gemacht werden soll, würden hier fünf bzw. 15 Sekunden aber schon völlig ausreichen. Damit könnte dann auch die Sechs-Pass-Regel endlich wieder abgeschafft werden.

In den Fünfzigerjahren gab es im Basketball ähnliche Probleme. Die Lösung mit der Shot Clock bezeichnete der damalige NBA-Präsident im Nachhinein als das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Liga. Es darf bezweifelt werden, dass eine Wurfuhr im Handball später einmal als ähnlich wichtig bezeichnet wird. Gleichzeitig würde es wohl aber auch die Schere zwischen den Top-Teams und den Teams am Tabellenende vergrößern. Auch im Amateur-Bereich wäre die Umsetzung mit Sicherheit nicht ganz einfach. Aber trotzdem wäre es in Bezug auf Objektivität, Fairness und Attraktivität der richtige Schritt für die Sportart.

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Julian Rux

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?? Julian is responsible for most of the content on this website. The Master of Science in Business Administration works - in addition to his main job as a controller - in a part-time job for the Handball Bundesliga (among other things as a columnist) and has also analysed data for Bundesliga clubs.

?? Julian ist für den Großteil des Inhalts dieser Website verantwortlich. Der Master of Science der Betriebswirtschaftslehre arbeitet - neben seinem Hauptjob als Controller - im Nebenjob für die Handball-Bundesliga (u.a. als Kolumnist) und hat auch für Bundesligisten Daten analysiert.

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