Im Handball, wie in vielen anderen Sportarten, haben Trainer, Journalisten, Fans und die Spieler selbst ein Interesse an einer objektiven Bewertung der gezeigten Leistungen. Die genannten Protagonisten haben zum Teil unterschiedliche Ziele hinter ihrer Bewertung, aber sie alle eint das Problem, dass es bisher keine anwendbaren, einheitlichen Maßstäbe für eine Bewertung gab. In Zeiten des Internets sowie schneller und kleiner Rechner, gibt es in den letzten Jahren immerhin die Erfassung von deutlich mehr Daten zu einem Spieler als die geworfenen Tore.
Diese Anzahl geworfener Tore war über Jahre das typische Merkmal zur Bewertung von Spielern, insbesondere bei Fans und Journalisten. Trainer und Spieler konnten, zum Beispiel durch kommunizierte Erwartungen im Training und vor einem Spiel, Leistungen besser bewerten. Dies war allerdings oft durch subjektive Faktoren beeinflusst.
In der Vergangenheit war der Topstar oft auf der „Königsposition“ im linken Rückraum zu finden. Er zeichnete sich durch die hohe Anzahl an Toren aus und wurde dafür gefeiert. Dabei wurden aber oft die restlichen Spieler vergessen, die die Tore durch ihre Eins-gegen-Eins-Aktion vorbereiten haben, wie zum Beispiel der Spielmacher auf der Rückraummitte oder den Kreisläufer, der einen passenden Schirm gestellt hat. Auch der Abwehrexperte, der dem Shooter in der Abwehr die Pause für seiner Würfe ermöglicht hat, bekommt selten die ihm gebührende Anerkennung.
Dr. Jörn Uhrmeister und Oliver Brosig sprachen im Podcast „Kreis ab“ ab Minute 29:39 über den PlayerScore
Ein weiteres Beispiel für nicht objektive Bewertungen sind die All-Star-Teams der großen internationalen Turniere oder die Ranglisten diverser Fachmagazine an Ende einer Saison. Während bei den All-Star-Teams oft die Politik eine Rolle spielt und die Positionen möglichst gleichmäßig an die Topnationen des Turniers verteilt werden, sind die Ranglisten sehr von den persönlichen Befindlichkeiten und Agenden der Journalisten gefärbt.
Inzwischen werden, vor allem durch eine größere Menge an vorhandenen Daten, neue Wege zur Spielerbewertung eingeschlagen, die sich durch eine möglichst hohe Objektivität auszeichnen. Das neuste Beispiel ist der Handball Performance Index (HPI) der HBL.
Bereits ein paar Jahre länger gibt es den PlayerScore, den ich zusammen mit Dr. Jörn Uhrmeister entwickelt habe. In diesem und weiteren Artikeln möchte ich einen tieferen Einblick in den PlayerScore geben und ihn auf die HBL anwenden.
Die Berechnung
Der PlayerScore wurde mit dem Ziel entwickelt eine möglichst objektive Bewertung von Feldspielern an Hand vorhandener Daten durchzuführen. Diese weist zwar eine gewisse Komplexität auf, aber ihr liegt ein einfaches Prinzip zu Grunde.
Der einfache Teil ist, dass der PlayerScore sich als Summe aller erhobenen positiven Aktionen abzüglich der Summe aller negativen Aktionen eines Spielers berechnet. Die Komplexität kommt durch zwei Gewichtungsfunktionen ins Spiel. So wird zum einen die Spielzeit und zum anderen die Tordifferenz beim Abschluss einer Aktionen betrachtet. Die Wichtigkeit (wie wichtig ist ein Tor, ein Steal, ein Assist?) oder die Schwierigkeit (ein Wurf im Gegenstoß ist leichter, als ein Wurf aus neun Metern) wird beim PlayerScore nicht betrachtet. Dies kann aber ergänzt werden.
Die Spielzeit wird über eine lineare Funktion gewichtet, so dass eine Aktion am Ende des Spiels mehr Einfluss hat als am Anfang. Dies sollt den Fakt darstellen, dass beide Mannschaften mit fortlaufender Spielzeit wenig Zeit haben auf eine durchgeführte Aktion zu reagieren. So kann auf ein Tor in der ersten Minute noch 59 Minuten reagiert werden, in der letzten Minute dagegen hat man kaum noch Zeit.
Die Funktion zur Tordifferenz ähnelt dagegen einer Glockenkurve. Je enger das Spiel ist, desto höher wird eine Aktion bewertet. Dies führt dazu, dass in einem knappen Spiel alle Aktionen hoch bewertet werden und hauptsächlich die Spielzeit einen Einfluss hat. Ist der Spielstand dagegen am Ende des Spiels deutlich für eine Mannschaft, bekommt eine Aktion weniger Gewicht. Im amerikanischen Sport fällt dann oft der Begriff „Garbage Time“. Am Anfang eines Spiels bekommt eine Aktion durch den Fakt, dass man mit 0:0 startet, zwar durch die Zeit eine geringe Gewichtung, die aber durch den engen Spielstand zum Teil wieder ausgeglichen wird.
Diese Zusammenspiel der beiden Gewichtungsfunktionen ist entscheidend und hat sich in der Praxis bewährt.
Als Beispiel ist ein Tor in der ersten Minute 2,5 Punkte wert. 0,5 Punkte über die Spielzeit und 2 Punkte durch die Tordifferenz von Null. Ein Tor in der 60. Minute bei gleicher Tordifferenz gibt dagegen 3,5 Punkte (1,5 + 2). Führt eine Mannschaft in der letzten Minute mit zehn Toren reduziert sich die Bewertung für eine Aktion auf 1,7 (1,5 + 0,2).
Ist der PlayerScore die perfekte Metrik zur Spielerbewertung?
Nein, mit Sicherheit nicht. Wie bereits beschrieben, kann man sich sicher noch über die Wichtigkeit oder Schwierigkeit der einzelnen Aktionen streiten und diese dann entsprechend gewichten. Zudem wird der PlayerScore nur auf vorhandene Daten angewendet. Im Fall der HBL ist dies der Liveticker, der durch zwei Scouts in den Hallen erstellt wird. Von der Qualität der Scouts hängt sehr viel ab für den PlayerScore ab, genauso wie für den HPI. Daher ist die HBL auch stetig daran interessiert die Qualität zu verbessern.
André Haber, Trainer der SC DHfK Leipzig, ist ein Anwender des PlayerScore. In der Variante, die wir für ihn rechnen, gehen zum einen seine eigenhändig erhobenen Daten ein. Zudem wird bei einigen Aktionen eine abgestimmte Gewichtung vorgenommen. So wird zum Beispiel die Abwehrarbeit durch die Ergänzung von Stoppfouls genauer bewertet. Durch diese individuelle Anpassung des PlayerScore können zwar nicht alle Spieler in der Liga bewertet werden, die Steuerung seiner eigenen Mannschaft kann aber durch dieses objektive Kriterium unterstützt werden.
Dass sich die individuelle Anpassung lohnt, zeigt sich, wenn man die Korrelation zwischen der Leipziger Variante und der Variante aus dem Liveticker für die sechs Spiele im Oktober betrachtet. Der Korrelationskoeffizient liegt bei 0,7. Dies bedeutet, dass beide Varianten in die gleiche Richtung laufen, es aber doch kleine, aber feine Unterschiede gibt. Der Korrelationskoeffizient zwischen der Leipziger PlayerScore-Variante und dem HPI der HBL liegt im übrigen ebenso bei 0,7. André Haber kann also exklusive Erkenntnisse aus seiner Individualisierung ziehen.
Wie gerade beschrieben, sollte der PlayerScore oder auch jede andere objektive Metrik nur ein Teil der Gesamtbewertung eines Spielers sein. So werden „weiche Faktoren“, wie z.B. Führungsqualitäten, wahrscheinlich nie objektiv erfasst werden können.
Bisher nicht richtig bewertet werden mit dem PlayerScore die Torhüter. Die Feldspieleraktionen werden zwar genauso berechnet, allerdings wird die Kernkompetenz, das halten von Bällen, nicht bewertet. In diesem Bereich ist der HPI bereits weiter. Ich arbeite aber bereits an einem GoalieScore, der die beiden Gewichtsfunktionen des PlayerScore benutzt.
Demnächst: Der PlayerScore in der HBL
In den nächsten Monaten soll es hier die Top 5 des PlayerScore pro Position des abgelaufenen Monats geben. Zudem möchte ich einen Rückblick auf die Saison 2019/20 geben und eventuell die Korrelation zum HPI näher betrachten.
Oliver Brosig
?? Oliver has a degree in statistics and works as a data scientist. He helped develop PlayerScore, of which SC DHfK Leipzig, among others, regularly uses an adapted version. He was also part of the HBL working group on the HPI.
?? Oliver ist Diplom-Statistiker und arbeitet als Data Scientist. Er hat den PlayerScore mitentwickelt, wovon unter anderem der SC DHfK Leipzig regelmäßig eine angepasste Version nutzt. Außerdem war er Teil der Arbeitsgruppe der HBL zum HPI.
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